Innenhalten, Perspektive wechseln und Albanien bereisen

„Wir waren 7 Tage in Albanien.“ Das ist der einzige Satz, den ich über die Zeit in Albanien locker zu Papier bringe.  Alles weitere sind hart erarbeitete Erkenntnisse einer verwöhnten, grün-ökologischen Westeuropäer-Seele und bei allem was ich sehe, bin ich auch immer Teil meiner Wahrnehmung. Gerade deshalb ist es wichtig gelegentlich innezuhalten und die Perspektive zu wechseln.

Für unsere Zeit in Albanien bezieht sich das auf zwei Dinge. Zum einen auf Albanien selbst und zum anderen auch auf unser Zusammenleben auf 6 Quadratmetern.

Wir erreichten Albanien im Dunkeln nachdem wir an der Grenze ein gewisses Durcheinander verursacht hatten, in dessen Verlauf Lisbeth allein in Albanien war, während der Rest der Familie wieder in Montenegro stand. Das hat sie uns recht übel genommen. Jedenfalls hatten wir seit Wochen keine größere Stadt mehr gesehen und waren schwer beeindruckt von dem Lichtermeer und Getümmel, das uns in Shkodra erwartete. Auch der Campingplatz dort, mit angeleuchtetem Pool, war im Dunkeln der Hit, sodass wir mit einem guten ersten Eindruck schlafen gegangen sind.

 

Bei Licht am nächsten Morgen revidierte sich der Eindruck, die Anlage hatte insgesamt einen Pflegestau und auch der Ausflug in die Stadt hat am Morgen nicht gehalten, was der Abend versprochen hat.

Müll! Die Stadt schien in Müll zu ertrinken. Jemand hat wohl vor geraumer Zeit Mülltonnen aufgestellt, aber seitdem vergessen sie zu leeren. Hunde, überall Hunde, tot am Straßenrand oder sich sonnend auf der Mittelinsel des Kreisverkehrs. Sie gehören zum Stadtbild, genau wie die wilde Mischung der Fahrzeuge; da fahren knatternde, selbst zusammengeschusterte Lastenräder neben auf Hochglanz polierten Luxus-SUVs und tiefer gelegten, getunten Mercedesse. Gefahren wird auf der zweispurigen Straße mit mindestens drei Fahrzeugen nebeneinander, überholt werden kann dann trotzdem noch, vorzugsweise rechts. Wie gesagt: verwöhnte Westeuropäer-Seele, der ein oder andere Asiat wird sagen: „Läuft doch voll entspannt!“

Nun bin ich nach 7 Tagen Durchreise kein Albanien-Profi, mir ist bewusst, dass ich nur einen kleinen Teil gesehen habe und meine Eindrücke von meinen eigenen Werten gefärbt sind.

Im ganzen Land sahen wir verwilderte Hunde, magere Schafe und Ziegen, gehütet von Männern mit braunen, wettergegerbten Gesichtern, Menschen, die in Häusern wohnen, die keine Fensterscheiben haben oder in denen ganze Wände fehlen. Genausooft sieht man schicke Villen mit traumhaft angelegten Gärten, allerdings umgeben von hohen, mit Scherben gespickten Mauern, aufwendig verzierte Gotteshäuser und liebevoll gepflegte historische Städte.

Da stehen neue Lagerhallen neben Feldern auf denen Männer den Müll zusammenharken und verbrennen. Übrigens eine Sache, die ich absolut nicht verstehe: wieso liegt überall Müll herum? Wie kommt der dahin und wieso räumt den keiner weg?

Es sind die Gegensätze, die mich am meisten irritiert und angestrengt haben. Aus dem Gefühl heraus die Sache nicht richtig zu verstehen entsteht schnell ein unguter Gesamteindruck, aber das wird dem Ganzen nicht gerecht. Wenn ich mal meine westeuropäischen und ökologischen Werte außen vorlasse, haben wir ein Land bereist, in dem die Gegensätze nebeneinander existieren, scheinbar ohne sich zu beeinflussen. Ganz deutlich wird es daran, dass zwei große Weltreligionen beeindruckend friedlich nebeneinander leben und das schon seit langer Zeit.

Innehalten, Perspektive wechseln und dann sieht man in dem Ganzen Chaos ein zurückhaltendes, friedlich wirkendes Volk. Wir haben nur ausgesprochen nette und hilfsbereite Albaner getroffen, vom bettelnden Obdachlosen, der uns winkend auf den hohen Bordstein aufmerksam machte, der uns sonst mindestens eine kräftige Delle verpasst hätte, bis zum Polizisten, der spontan für uns gedolmetscht hat.

Auch bei uns im Wohnwagen ist innehalten und Perspektive wechseln manchmal nötig gewesen. Hin und wieder kriege ich zu hören „Man, sieben Leute auf so kleinem Raum. Wie geht denn das?“ Normalerweise sage ich dann, dass man ja sowieso die meiste Zeit draußen ist, dass es nicht 6 Quadratmeter sind, sondern quasi die ganze Welt drum herum. Allerdings hat es in Albanien und auch schon die letzten Tage davor viel geregnet, sodass wir tatsächlich viel alle zusammen im Wohnwagen waren. Dann kommt bei aller Familienliebe auch mal schlechte Stimmung auf und alle gehen sich gegenseitig auf die Nerven. Die Kunst ist jedem seinen Lagerkoller zuzugestehen und eben auch die Perspektive zu wechseln, wenn sich mal wieder alle auf den Füßen stehen.

Trotz des regnerischen Wetters haben wir nämlich viele spannende Erfahrungen gemacht.

Wir hatten großes Glück und durften uns einer netten Reisegruppe anschließen und an ihrer Stadtführung mit einem sehr kompetenten Führer teilnehmen. So sind wir nicht nur in den Genuss einer klasse Stadtführung gekommen, sondern haben auch alle zum ersten Mal eine Moschee von innen gesehen. Außerdem haben wir zum ersten Mal in warmen Schwefelquellen gebadet und albanisch gegessen.

Nur allzu leicht erscheint es mir, bleibt man an den störendenden, kleineren und größeren Details hängen und verliert darüber dass Gesamtbild aus dem Auge. Daran denke ich neuerdings immer, wenn im Wohnwagen mein Zeh mal wieder der unterste ist.

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