Irland scheint ein bisschen aus der Zeit gefallen zu sein. Wir haben in den letzten zwei Wochen Ausflüge in die nächst „größeren“ Städte unternommen. An allen Orten (bezogen auf Europa), an denen wir vorher waren, hieß das im Grunde, dass die Städte austauschbar sind. Aldi, DM, H&M etc. findet man gefühlt in jeder größeren Stadt. Erfrischender- aber auch verwirrenderweise ist das hier anders. Besonders hübsch sind schon die vielen bunten Häuser. Man hat ein bisschen das Gefühl vor einem Postkartenmotiv zu stehen. Als mir dann in einem der winzigen Örtchen hier, unabhängig voneinander, verschiedene Leute in grünen Gummistiefeln entgegenkamen, wurde aus meinem Postkartenmotiv eine Kulisse für einen Rosamunde-Pilcher-Film.
In Kenmare und Castletownbere befinden sich auf der „Main“-Street unten kleine Ladengeschäfte mit Kleidung, Elektrowaren, Drogerien. Keine großen Ketten, sondern richtige Einzelhändler! Für mich – als Kind meiner Zeit – ist es geradezu faszinierend, dass es so etwas noch gibt. In den zwei- bis dreistöckigen Häusern sind oben Wohnungen untergebracht und es sieht aus als wohne der Schuster wie selbstverständlich über seinem Ladengeschäft. Es wirkt verdächtig nach Zeitreise.
Hier in Beara scheint die Zeit noch langsamer zu laufen. Es ist wirklich merkwürdig, seit wir hier sind leben wir in Zeitlupe. Dieses Gefühl am Sonntag Nachmittag „Huch, wo ist die Woche hin? Es war doch gerade erst Montag.“, das scheint hier ebenso weit weg wie der nächste H&M.
Die Tücke mit der Zeit ist, dass wenn sie so langsam vergeht, man viel Gelegenheit hat sich mit seinen eigenen Gedanken zu beschäftigen. Seit dem letzten Sonntag ist mein Papa ein Jahr tot, auch wenn es sich noch nicht wie ein Jahr anfühlt, sondern wie gerade eben erst. Soviel wie in den letzten zwei Wochen habe ich im ganzen letzten Jahr nicht darüber nachgedacht und darüber, wie ich damit umgehen will. Ich habe alle Gedanken daran vermieden, so wie der Teufel das Weihwasser und dann: „Huch, ist schon wieder Sonntag? …“. So habe ich wie gesagt, dass ganze letzte Jahr rumgebracht und dann finde ich mich 12 Monaten später an einem Ort wieder, der nicht zulässt, dass ich mich weiter vor mir selbst verstecke, sondern mich dem stellen muss.
Manchmal entwickelt diese Reise eine Eigendynamik, die ich nicht erwartet habe. Das Gefühl zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein ist mir, seit wir unterwegs sind, schon ein paar Mal begegnet. Ich bin sehr gespannt, wohin uns der Weg noch führen wird. Und wie lange noch? Ich habe keine Ahnung. Klar ist nur, keiner von uns ist des Reisens müde!